Die deutsche Finanzverwaltung und Justiz arbeiten zunehmend die sog. Cum Ex Geschäfte auf, mit denen Steuerschäden in Milliardenhöhe angerichtet wurden. Damit sich auch der steuerliche Laie ein Urteil bilden kann, worum es hier geht, erfolgt folgende (stark vereinfachte) dafür anschauliche Erklärung:
Aktien werden vor einer Hauptversammlung verkauft. In diesem Zeitpunkt enthalten die Aktien noch den Dividendenanspruch und danach bemisst sich auch der Kaufpreis (Verkauf also „cum“ Dividenanspruch). Geliefert und übereignet an den Käufer werden diese Aktien jedoch erst nach der Hauptversammlung. Zu diesem Zeitpunkt haben die Aktien den Dividendenanspruch nicht mehr, denn Aktiengesellschaften schütten ihre Dividende jeweils am Tag nach der Hauptversammlung üblicherweise aus (Lieferung also „ex“ Dividendenanspruch). Weil der Käufer nur noch Aktien ohne Dividenanspruch erhält, zahlt ihm der Verkäufer einen Ausgleich in Höhe der Netto – Dividende, die er als (Noch-) Inhaber der Aktien von der Aktiengesellschaft erhalten hatte. Gleichzeitig bescheinigt dem Käufer dessen Depotbank, dass hinsichtlich der Ausgleichszahlung (!) Kapitalertragsteuer einbehalten wurde. Mit dieser Bescheinigung kann sich der Käufer Kapitalertragssteuer auf seine Einkommensteuer anrechnen lassen. Für den Käufer stimmt damit alles. Er hat eine Aktie mit Dividenanspruch gekauft und bezahlt und hat Aktien ohne Dividenanspruch erhalte zuzüglich der Ausgleichszahlung in Höhe der Nettodividende nebst einer Steuerbescheinigung. Und jetzt kommt es: Tatsächlich erfolgte ein solcher Einbehalt von Kapitalertragssteuer auf die Ausgleichszahlung jedoch nicht. Dafür wäre die den Verkaufsauftrag ausführende inländische Bank zuständig gewesen. Der Verkäufer schaltete jedoch eine ausländische Bank ein, die nicht einbehielt, weil sie nicht dazu verpflichtet war. Der Aktienverkäufer erhielt somit über den Kaufpreis einen (Brutto-) Dividendenanspruch, glich jedoch netto, also ohne Steuer, gegenüber dem Käufer aus. Der Fiskus rechnet beim Käufer eine Steuer an, die nie einbehalten wurde und der daraus erwachsene wirtschaftliche Vorteil verbleibt beim Verkäufer. Um jedoch einen Anreiz zu geben bei diesem Geschäft mitzumachen, wurde dieser wirtschaftliche Vorteil vom Verkäufer der Aktien unter den Beteiligten aufgeteilt, zumindest zwischen ihm und dem Käufer der Aktien. Die Aktien wurden meist wieder zurück verkauft. Kursrisiken wurden über entsprechende Finanzmarktprodukte abgesichert. Es ging bei diesen Geschäften also nie darum im engeren Sinne mit Aktien Geld zu verdienen, sondern um den oben beschriebenen wirtschaftlichen Vorteil, der für die Beteiligten einen narrensicheren Gewinn bedeutete.
Jetzt ist das Gejammer groß, denn die Finanzverwaltung leitet Steuerstrafverfahren ein und will die tatsächlich nicht einbehaltene Steuer einholen. Der Aktienkäufer sagt: Ich wusste nicht, dass ein Steuereinbehalt gar nicht stattgefunden hat. Immerhin habe ich eine Steuerbescheinigung bekommen. Der Aktienverkäufer sagt: Ich wusste nicht, dass eine Steuerbescheinigung ausgestellt wurde. Die Depotbank, die die Steuerbescheinigung ausstellte, sagt: Ich wusste nicht, dass die Steuer nicht einbehalten wurde und die ausländische Bank, die den Verkauf betreute, sagt: Ich war nach dem Gesetz nicht verpflichtet einzubehalten. Diese Gutgläubigkeit wird den Beteiligten bislang von den Behörden nicht immer abgenommen!
Jetzt ist auch klar, warum den Gesetzgeber der Vorwurf trifft, diese enormen Steuerschäden begünstigt zu haben. Bis 2007 war noch nicht einmal eindeutig geregelt, dass die Ausgleichszahlungen kapitalertragssteuerpflichtig sind. Die entscheidende Lücke bestand jedoch darin, dass die Steuer auf die Ausgleichszahlung nur von inländischen Banken, die mit dem Verkauf beauftragt waren, einzubehalten war und über ausländische Banken umgangen werden konnte. Erst 2012 hat der Gesetzgeber diese Lücke geschlossen.