Rückschaufehler (Hindsight Bias)

Menschen neigen dazu, sich zu überschätzen, inwieweit sie ein Ereignis hätten voraussehen können, nachdem sie erfahren haben, dass es eingetreten ist.

Diese Situation tritt bei Gerichten sehr häufig auf, wenn Richter über einen Fahrlässigkeitsvorwurf zu entscheiden haben. War voraussehbar, dass durch ein bestimmtes Verhalten ein bestimmter Schaden entsteht? Die Gerichte kennen zwar den schlimmen Ausgang (sonst wäre die Sache nicht bei Gericht gelandet), aber müssen nun entscheiden, ob dieser Schaden im vornherein vorauszusehen war.

Wegen des sog. Rückschaufehlers, verwundert es nicht, dass Gerichte regelmäßig zu dem Ergebnis kommen, der Schaden nach einem bestimmten Verhalten war voraussehbar. Es gelingt den Richtern regelmäßig nicht, weil sie eben auch nur Menschen sind, verständig zu beurteilen, ob sie die Folgen in der Situation des Betreffenden vorausgesehen hätten, wenn sie nichts von diesen Folgen wüssten.

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Kassenmanipulation und Vermögensarrest

In Steuerstrafverfahren werden nicht selten sog. Vermögensarreste ausgebracht, die es ermöglichen das Vermögen der Beschuldigten zu beschlagnahmen (vgl. § 111 e StPO). Dabei handelt es sich um einen der schwerwiegendsten Eingriffe des Staates in die Rechte eines Bürgers.

Derzeit ist es in der Rechtsprechung umstritten, welche Anforderungen an das Sicherungsbedürfnis bei einem Vermögensarrestzu zu stellen sind. Es gibt Gerichte, die es genügen lassen für ein solches Sicherungsbedürfnis, dass ein Verdacht besteht, dass der Täter sich den rechtswidrigen Vermögensvorteil durch eine Straftat verschafft hat.

Das OLG Schleswig etwa verlangt weitergehend die im Einzelfall bestehende Besorgnis, dass der Beschuldigte Vermögenswerte verschleiern oder verstecken wird und die Vollstreckung dadurch erschwert (siehe näher Blogeintrag vom 29.05.2019).

Das hat das OLG Schleswig in einer neueren Entscheidung mit Beschluss vom 12.02.2019 -1 Ws 386/18 (1/19)) nochmals bestätigt. An dieser Entscheidung ist jedoch sehr viel bemerkenswerter, was sich im Sachverhalt des Falles zutrug. Es war der Finanzverwaltung gelungen aus dem Kassensystem einer Gaststätte sog. „inaktive Daten“ wieder sichtbar zu machen, wodurch es möglich wurde tatsächlich erzielte Umsätze abzuleiten.

Fehlschluss des Anklägers (Procecutor’s Fallacy)

Wenn der Verdächtige einer Straftat bestimmte Merkmale hat, die sehr selten vorkommen, führt das bei vielen Menschen zum Fehlschluss, dass er der Täter ist. Dieser Fehlschluss wird Fehlschluss des Anklägers (Procecutor’s Fallacy) genannt.

Beispiel (vereinfacht):

In einem Mordfall in London hat die Polizei nur eine DNA Spur des Täters und weiß sonst nichts über ihn. Bei einer Überprüfung mit einer Datenbank fällt eine Person auf, deren DNA Profil mit der Spur aus der Tat übereinstimmt. Der Gutachter gibt an, dass das übereinstimmende Profil lediglich bei einem von etwa 10 Millionen Menschen vorkommt. Ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Verdächtige der Täter ist 10.000.000 zu 1? Das wäre der Fehlschluss des Anklägers! Richtig ist demgegenüber: Allein in Europa befinden sich statistisch etwa 70 Menschen mit dem gleichen DNA Profil, denn die Bevölkerung beläuft sich auf etwa 70.000.000 Einwohner. Danach ist die Wahrscheinlichkeit 1 zu 70 (oder knapp 1,5 %), dass der Verdächtigte der Täter ist und dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, dass der Täter möglicherweise außerhalb Europas lebt und zur Tat lediglich eingeflogen war.

Ganz anders sähe die Berechnung aus, wenn es der Polizei gelingt, den Täterkreis räumlich stark einzugrenzen, etwa auf ein Stadtviertel mit 100.000 Einwohnern. Dann würde die Wahrscheinlichkeit, dass eine andere Person der Täter ist auf 1 % absinken (100.000 ./. 10.000.000 = 0.01). Der Verdächtige wäre also zu 99 % der Täter. Wenn es sodann noch weitere Indizien gäbe, die auf den Verdächtigen deuten, wäre die DNA ein wichtiges und wohl entscheidendes Indiz für die Täterschaft.

Ankereffekt im Strafprozess

Der Ankereffekt kommt zum Tragen, wenn wir numerische Urteile fällen, ohne dass wir von vornherein ein „richtiges“ Ergebnis kennen. Numerisch hohe Anker bewirken, dass wir numerisch höhere Entscheidungen treffen. Numerisch niedrige Anker bewirken, dass wir numerisch niedrigere Entscheidungen treffen.

Die größte Bedeutung hat der Ankereffekt im Strafprozess bei der Strafzumessung. So setzt die Staatsanwaltschaft, die in der Regel in der strafgerichtlichen Hauptverhandlung zuerst plädiert, einen Anker für die Strafzumessung durch ihren Strafantrag. Viele Staatsanwälte nutzen den Ankereffekt, in dem sie eine hohe Strafforderung stellen, in der Hoffnung, das Gericht möglichst nahe an diese Strafforderung heranzuziehen. Die Verteidigung, die nach der Staatsanwaltschaft plädiert, versucht natürlich bei einer Strafmaßverteidigung durch eine geringere Strafforderung einen Gegenanker zu setzen. Aber: der erste Anker ist der stärkere!

Daher versuchen gute Strafverteidiger im Rahmen von Strafmaßverteidigungen in Rechtsgesprächen, also vor dem Plädoyer, eine erste geringe Strafforderung ins Spiel zu bringen. Das setzt den ersten Anker, der der wirksamste ist. Diese Strategie gelingt allerdings nur, wenn die Strafmaßforderung nicht völlig unrealistisch ist. In diesem Fall wird der Anker nicht ernst genommen und bleibt wirkungslos. Am besten ist es also einen ehrgeizigen, aber realistischen ersten Anker zu setzen.

Kognitive Dissonanz im Strafprozess

Unter kognitiver Dissonanz versteht man u. a. einen Konfliktzustand, in dem sich eine Person befindet, nachdem sie mit Informationen in Berührung gekommen ist, die in Widerspruch zu ihren Überzeugungen steht.

Menschen tendieren dazu diese Dissonanz zu reduzieren, aber leider oft nicht dadurch, dass sie ihre Überzeugung ändern, sondern sich die Informationen gleichsam zurechtbiegen.

Einer solchen Gefahr unterliegen auch die Berufsrichter im deutschen Strafprozess. Sie kennen die Akten, die das Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft abbilden und eine Anklage enthalten, die sie zur Hauptverhandlung zulassen müssen. Sie schleppen somit die Anklage als erste Hypothese mit in die Hauptverhandlung. Werden diese Richter in der Hauptverhandlung mit Informationen versorgt, die mit dieser Hypothese nicht in Einklang stehen, werden die Informationen abgewertet, wohingegen bestätigende Information aufgewertet werden. Das sind Prozesse, die unbewusst ablaufen!

Aufgabe guter Verteidigung ist es, solche psychologischen Phänomene, die wissenschaftlich abgesichert sind, den Richtern vor Augen zu führen und vor allem nachhaltig Zweifel an der Ausgangshypothese der Anklage zu wecken. Im Plädoyer damit zu beginnen, ist zu spät!

Vernünftige Zweifel an der Hypothese der Anklage weckt der Verteidiger am besten durch plausible Alternativgeschichten.

Vergütung von Betriebsratsmitgliedern und Steuerhinterziehung

Betriebsratsmitglieder dürfen wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden (§ 78 S. 2 BetrVG). Eine verbotene Begünstigung liegt vor, wenn Betriebsratsmitglieder von ihrem Arbeitgeber eine unangemessen hohe Vergütung erhalten. Solche unangemessenen Vergütungen sind sogar unter Strafe gestellt (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG). Weil das so ist, kann eine solche Zahlung auch nicht als Betriebsausgabe abgesetzt werden (§ 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG). Gleichwohl werden in der Praxis solche unangemessenen Vergütungen im Regelfall als Betriebsausgabe von den Arbeitgebern geltend gemacht. Sie mindern also deren Gewinn. Das ist Steuerhinterziehung (vgl. zuletzt BGH vom 23.10.2018 – 1 StR 234/17 -) !

Restschuldbefreiung bei Steuerstraftat

§ 302 Nr. 1 Alt. 3 der Insolvenzordnung bestimmt, dass Verbindlichkeiten des Schuldners sofern er im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat rechtskräftig verurteilt worden ist, nicht der Restschuldbefreiung unterliegen.

Das OLG Hamm hat in einem Urteil vom 14.12.2018 -7 U 58/17- entschieden, dass die geforderte rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung bis zur Entscheidung über die Restschuldbefreiung vorliegen muss und nicht schon beim Schlusstermin des Insolvenzverfahrens.

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Beweise mir das Gegenteil!

So könnte ein Angeklagter gedacht haben, der sich in einem Mordprozess verteidigte. Er hatte zunächst ein großes Küchenmesser aus der Küche ins Schlafzimmer gebracht. Dort versuchte er das Opfer zu erstechen. Um nicht wegen versuchten Mordes verurteilt zu werden erklärte er, er habe sich im Schlafzimmer spontan zur Tat entschlossen. Das Landgericht sah diese Verteidigung als nicht widerlegt an und verurteilte den Angeklagten nur wegen versuchten Totschlages in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.

Das ließ der Bundesgerichtshof nicht gelten (Urteil vom 17. April 2019 – 5 StR 25/19 –). Entlastende Angaben des Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gebe, dürfe das Tatgericht nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen. Das Tatgericht hätte vielmehr erörtern müssen, weshalb der Angeklagte überhaupt ein großes Küchenmesser aus der Küche mit ins Schlafzimmer genommen habe und ob dieser Umstand nicht einer Spontantat entgegenstehe.

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Turnierpoker kann Gewerbebetrieb sein

Der BFH hat mit Urteil vom 07. November 2018 – X R 34/16 – entschieden, dass ein Turnierpokerspieler Gewerbetreibender sein kann mit der Folge, dass Gewinne aus dem Turnierpoker bei der Einkommensteuer zu berücksichtigen sind.

Entscheidend war insbesondere, dass das Gericht Turnierpoker nicht als reines Glücksspiel, sondern auch als Geschicklichkeitsspiel angesehen hat.

Wir dürfen gespannt sein, wie sich die Finanzverwaltung verhält, wenn sich Turnierpokerspieler mit erheblichen Verlusten melden und diese Verluste steuerlich geltend machen wollen.

Gutachter fehlt vorgebliche Qualifikation – Betrug

Der Bundesgerichtshof hatte mit Beschluss vom 18.12.2018 – 3 STR 270/18 – über einen Gerichtsgutachter zu entscheiden, der zu Unrecht angegeben hatte, Diplom-Psychologe zu sein. Überdies hatte er bei Gericht im Rahmen seiner Aussagen ebenfalls fälschlich angegeben, den Beruf eines Psychologen zu haben.

Der Bundesgerichtshof hielt die Verurteilung wegen Betruges und Falschaussage aufrecht. Der Bundesgerichtshof ließ nicht gelten, dass der Angeklagte seine Gutachten tatsächlich und wahrscheinlich sogar mangelfrei erstattet hatte. Ein Vergütungsanspruch des Gutachters sei verwirkt (vgl. § 654 BGB). Der Gutachter habe daher seine Gutachten zu Unrecht gegenüber dem Kostenbeamten der Justiz abgerechnet.

Die Entscheidung ist nicht überraschend, aber gleichwohl bemerkenswert. Jeder, der im Rahmen eines Dienstverhältnisses eine falsche Qualifikation vorgaukelt, läuft nach dem Urteil Gefahr, wegen Betruges bestraft zu werden, auch wenn er ordentliche Arbeit abgeliefert hat!