In Sexualstrafverfahren kann sich die Frage nach suggerierten Zeugenaussagen stellen. So kommen immer wieder Fälle vor, in denen Menschen behaupten, dass ihnen im Rahmen einer Psychoanalyse aufgedeckt worden sei, dass sie vor Jahren sexuell missbraucht worden seien. Die verdrängte Erinnerung sei vom Psychotherapeuten aufgedeckt worden. Es gibt auch nicht selten Fälle, in denen Eltern von einem sexuellen Missbrauch ihres Kindes fälschlich überzeugt sind und dem Kind den Missbrauch im Rahmen ihrer „Aufklärung“ des Sachverhaltes einreden („Hat der Onkel Paul dich da unten angefasst?“). Berüchtigt sind auch Fälle, in denen Kindergärtner und Lehrer einen sexuellen Missbrauch ihren Kindern suggeriert haben.
Der Bundesgerichtshof hat in einem Beschluss vom 5. Juli 2022 – 4 StR 96/22 – betont, dass bei der Aussageanalyse einer möglicherweise suggerierten Aussage deren Entstehung und Entwicklung im Vordergrund stünden. Demgegenüber, so der Bundesgerichtshof, gebe es keine Belege, dass sich erlebnisbasierte und suggerierte Aussagen in ihrer Qualität unterschieden.
Diese Erkenntnis ist sehr wichtig. In der Praxis wird häufig der Fehler gemacht, dass eine möglicherweise suggerierte Aussage als glaubhaft beurteilt wird, weil sie sehr detailreich ist.