Ankereffekt im Strafprozess

Der Ankereffekt kommt zum Tragen, wenn wir numerische Urteile fällen, ohne dass wir von vornherein ein „richtiges“ Ergebnis kennen. Numerisch hohe Anker bewirken, dass wir numerisch höhere Entscheidungen treffen. Numerisch niedrige Anker bewirken, dass wir numerisch niedrigere Entscheidungen treffen.

Die größte Bedeutung hat der Ankereffekt im Strafprozess bei der Strafzumessung. So setzt die Staatsanwaltschaft, die in der Regel in der strafgerichtlichen Hauptverhandlung zuerst plädiert, einen Anker für die Strafzumessung durch ihren Strafantrag. Viele Staatsanwälte nutzen den Ankereffekt, in dem sie eine hohe Strafforderung stellen, in der Hoffnung, das Gericht möglichst nahe an diese Strafforderung heranzuziehen. Die Verteidigung, die nach der Staatsanwaltschaft plädiert, versucht natürlich bei einer Strafmaßverteidigung durch eine geringere Strafforderung einen Gegenanker zu setzen. Aber: der erste Anker ist der stärkere!

Daher versuchen gute Strafverteidiger im Rahmen von Strafmaßverteidigungen in Rechtsgesprächen, also vor dem Plädoyer, eine erste geringe Strafforderung ins Spiel zu bringen. Das setzt den ersten Anker, der der wirksamste ist. Diese Strategie gelingt allerdings nur, wenn die Strafmaßforderung nicht völlig unrealistisch ist. In diesem Fall wird der Anker nicht ernst genommen und bleibt wirkungslos. Am besten ist es also einen ehrgeizigen, aber realistischen ersten Anker zu setzen.

Kognitive Dissonanz im Strafprozess

Unter kognitiver Dissonanz versteht man u. a. einen Konfliktzustand, in dem sich eine Person befindet, nachdem sie mit Informationen in Berührung gekommen ist, die in Widerspruch zu ihren Überzeugungen steht.

Menschen tendieren dazu diese Dissonanz zu reduzieren, aber leider oft nicht dadurch, dass sie ihre Überzeugung ändern, sondern sich die Informationen gleichsam zurechtbiegen.

Einer solchen Gefahr unterliegen auch die Berufsrichter im deutschen Strafprozess. Sie kennen die Akten, die das Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft abbilden und eine Anklage enthalten, die sie zur Hauptverhandlung zulassen müssen. Sie schleppen somit die Anklage als erste Hypothese mit in die Hauptverhandlung. Werden diese Richter in der Hauptverhandlung mit Informationen versorgt, die mit dieser Hypothese nicht in Einklang stehen, werden die Informationen abgewertet, wohingegen bestätigende Information aufgewertet werden. Das sind Prozesse, die unbewusst ablaufen!

Aufgabe guter Verteidigung ist es, solche psychologischen Phänomene, die wissenschaftlich abgesichert sind, den Richtern vor Augen zu führen und vor allem nachhaltig Zweifel an der Ausgangshypothese der Anklage zu wecken. Im Plädoyer damit zu beginnen, ist zu spät!

Vernünftige Zweifel an der Hypothese der Anklage weckt der Verteidiger am besten durch plausible Alternativgeschichten.

Vergütung von Betriebsratsmitgliedern und Steuerhinterziehung

Betriebsratsmitglieder dürfen wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden (§ 78 S. 2 BetrVG). Eine verbotene Begünstigung liegt vor, wenn Betriebsratsmitglieder von ihrem Arbeitgeber eine unangemessen hohe Vergütung erhalten. Solche unangemessenen Vergütungen sind sogar unter Strafe gestellt (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG). Weil das so ist, kann eine solche Zahlung auch nicht als Betriebsausgabe abgesetzt werden (§ 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG). Gleichwohl werden in der Praxis solche unangemessenen Vergütungen im Regelfall als Betriebsausgabe von den Arbeitgebern geltend gemacht. Sie mindern also deren Gewinn. Das ist Steuerhinterziehung (vgl. zuletzt BGH vom 23.10.2018 – 1 StR 234/17 -) !

Restschuldbefreiung bei Steuerstraftat

§ 302 Nr. 1 Alt. 3 der Insolvenzordnung bestimmt, dass Verbindlichkeiten des Schuldners sofern er im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat rechtskräftig verurteilt worden ist, nicht der Restschuldbefreiung unterliegen.

Das OLG Hamm hat in einem Urteil vom 14.12.2018 -7 U 58/17- entschieden, dass die geforderte rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung bis zur Entscheidung über die Restschuldbefreiung vorliegen muss und nicht schon beim Schlusstermin des Insolvenzverfahrens.

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Beweise mir das Gegenteil!

So könnte ein Angeklagter gedacht haben, der sich in einem Mordprozess verteidigte. Er hatte zunächst ein großes Küchenmesser aus der Küche ins Schlafzimmer gebracht. Dort versuchte er das Opfer zu erstechen. Um nicht wegen versuchten Mordes verurteilt zu werden erklärte er, er habe sich im Schlafzimmer spontan zur Tat entschlossen. Das Landgericht sah diese Verteidigung als nicht widerlegt an und verurteilte den Angeklagten nur wegen versuchten Totschlages in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.

Das ließ der Bundesgerichtshof nicht gelten (Urteil vom 17. April 2019 – 5 StR 25/19 –). Entlastende Angaben des Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gebe, dürfe das Tatgericht nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen. Das Tatgericht hätte vielmehr erörtern müssen, weshalb der Angeklagte überhaupt ein großes Küchenmesser aus der Küche mit ins Schlafzimmer genommen habe und ob dieser Umstand nicht einer Spontantat entgegenstehe.

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Turnierpoker kann Gewerbebetrieb sein

Der BFH hat mit Urteil vom 07. November 2018 – X R 34/16 – entschieden, dass ein Turnierpokerspieler Gewerbetreibender sein kann mit der Folge, dass Gewinne aus dem Turnierpoker bei der Einkommensteuer zu berücksichtigen sind.

Entscheidend war insbesondere, dass das Gericht Turnierpoker nicht als reines Glücksspiel, sondern auch als Geschicklichkeitsspiel angesehen hat.

Wir dürfen gespannt sein, wie sich die Finanzverwaltung verhält, wenn sich Turnierpokerspieler mit erheblichen Verlusten melden und diese Verluste steuerlich geltend machen wollen.

Gutachter fehlt vorgebliche Qualifikation – Betrug

Der Bundesgerichtshof hatte mit Beschluss vom 18.12.2018 – 3 STR 270/18 – über einen Gerichtsgutachter zu entscheiden, der zu Unrecht angegeben hatte, Diplom-Psychologe zu sein. Überdies hatte er bei Gericht im Rahmen seiner Aussagen ebenfalls fälschlich angegeben, den Beruf eines Psychologen zu haben.

Der Bundesgerichtshof hielt die Verurteilung wegen Betruges und Falschaussage aufrecht. Der Bundesgerichtshof ließ nicht gelten, dass der Angeklagte seine Gutachten tatsächlich und wahrscheinlich sogar mangelfrei erstattet hatte. Ein Vergütungsanspruch des Gutachters sei verwirkt (vgl. § 654 BGB). Der Gutachter habe daher seine Gutachten zu Unrecht gegenüber dem Kostenbeamten der Justiz abgerechnet.

Die Entscheidung ist nicht überraschend, aber gleichwohl bemerkenswert. Jeder, der im Rahmen eines Dienstverhältnisses eine falsche Qualifikation vorgaukelt, läuft nach dem Urteil Gefahr, wegen Betruges bestraft zu werden, auch wenn er ordentliche Arbeit abgeliefert hat!

Facebook und Meinungsfreiheit

Das politisch umstrittene Netzdurchleitungsgesetz, mit denen insbesondere Plattformbetreibern in sozialen Netzwerken unter bestimmten Voraussetzungen Löschpflichten auferlegt werden, zeigt in der Praxis seine volle Wirkung. Vor allem kritische Äußerungen zur Flüchtlingspolitik in Deutschland werden zur Veranlassung von Löschungen von Artikeln, Verlinkungen oder gar der Sperrung des gesamten Benutzeraccounts genommen.

In einem Verfahren beim Oberlandesgericht in München (Beschluss vom 17. September 2018 – 18 W 1383/18 –) versuchte ein Facebook Nutzer seinen Account wieder frei zu bekommen. Der Nutzer hatte eine Verlinkung auf einen Artikel vorgenommen, den Facebook als Hassrede ansah. Der Facebook Nutzer verlor den Prozess, weil das Gericht den in Rede stehenden Artikel als volksverhetzend ansah. Wichtig in der Entscheidung ist jedoch folgende Aussage, die hier wörtlich wiedergegeben wird:

„Für den Inhalt und die Reichweite der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme ist von Bedeutung, dass die von der Antragsgegnerin bereitgestellte Social-Media-Plattform dem Zweck dient, den Nutzern einen „öffentlichen Marktplatz“ für Informationen und Meinungsaustausch zu verschaffen. Im Hinblick auf die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte, insbesondere des Grundrechts des Nutzers auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), muss deshalb gewährleistet sein, dass eine zulässige Meinungsäußerung nicht von der Plattform entfernt werden darf.“

Das bedeutet im Klartext: Ist die Meinungsäußerung keine Straftat, dürfen Artikel nicht beanstandet werden.

Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt – Maklererlaubnis weg

Wer gewerberechtlich unzuverlässig ist, muss mit dem Widerruf der Maklererlaubnis gemäß § 34 c GewO rechnen. Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt in der Regel nicht, wer wegen eines Verbrechens oder wegen Diebstahls, Unterschlagung, Erpressung, Betruges, Untreue, Geldwäsche, Urkundenfälschung, Hehlerei, Wuchers oder einer Insolvenzstraftat rechtskräftig verurteilt worden ist (vgl. i.e. § 34 c Abs. 2 Nr. 1 GewO). Die Steuerhinterziehung (§ 370 AO) und das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a StGB) gehören nicht zu dem vorgenannten gesetzlichen Katalog von Straftaten. Aber: Verstöße gegen diese beiden Strafvorschriften können im Rahmen der allgemeinen Zuverlässigkeitsprüfung Bedeutung erlangen.

Ein Makler war wegen § 266 a StGB zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt worden. Er hatte vorsätzlich Sozialversicherungsbeiträge vorenthalten. Die Behörde widerrief seine Maklererlaubnis und seine Klage blieb beim VG Regensburg, Urteil vom 21.03.2019 – RN 5 K 17.1292 – erfolglos.

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Kündigung einer Facebook – Freundschaft als empfindliches Übel

Das Strafrecht, insbesondere das Sexualstrafrecht, bietet regelmäßig die merkwürdigsten Fälle im Recht. Einen wahrlich absonderlichen Fall hatte das OLG Karlsruhe zu entscheiden (Beschluss vom 17.01.2019, 2 Ws 341/18).

Der Angeklagte hatte sich mit einem falschen Facebook – Profil (als sog. Catfish) über das Internet in das Vertrauen eines 17 – jährigen Mädchens geschlichen. Wir ahnen es schon: Das Mädchen verliebte sich in den “Catfish”. Der Angeklagte traf sich sodann mit dem Mädchen und erreichte Anal- und Oralverkehr mit der “Drohung”, der vermeintliche Facebook – Freund werde sonst den Kontakt abbrechen.

Wegen sexuelle Nötigung macht sich strafbar, wer eine Person zur Vornahme einer sexuellen Handlung durch Drohung mit einem “empfindlichen Übel” nötigt (§ 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB). Das Landgericht war der Auffassung, dass die Drohung eine Facebook – Freundschaft aufzukündigen, kein “empfindliches Übel” sei. Das sah das OLG anders. Zwar würde ein besonnener Durchschnittsmensch es nicht als empfindliches Übel ansehen, einen Facebook Freund zu verlieren, aber darauf komme es nicht an. Entscheidend sei die Sichtweise des Opfers, für die der vermeintliche Facebook Freund eine große Bedeutung hatte.

Schlechte Fälle machen schlechtes Recht. Ob das OLG auch so entschieden hätte, wenn eine Ehefrau ihrem Ehemann mit der Trennung droht, wenn er sich weigert in der Ehe mit ihr sexuell zu verkehren? In Fällen dieser Art drängt sich das Korrektiv einer Verwerflichkeitsprüfung auf, die wir aus dem allgemeine Tatbestand der Nötigung kennen (§ 240 StGB). Danach ist immer auch zu prüfen, ob die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Dass der Angeklagte im hiesigen Fall verwerflich gehandelt hatte, bedarf keiner weiteren Begründung.